Die von Steven C. Hayes entwickelte Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) ist ein neueres Verfahren in der Psychotherapie, das im Zuge der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie aufkam. Im Fokus der Behandlung stehen dabei Achtsamkeit, Akzeptanz, Werte und die therapeutische Beziehung. Dieser Artikel gibt einen Einblick in die ACT, ihre Kernbausteine und Wirksamkeit der Therapieform.
Was die ACT besonders macht
Um den Ansatz der ACT zu verstehen, ist es hilfreich, sich einmal kurz zu überlegen, welches Ziel in der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) verfolgt wird. Diese kann man als psychologischen Mainstream verstehen, da sie sehr häufig angewendet wird. Dabei ist die Annahme der KVT, dass Gedanken, die letztlich unsere Handlungen bestimmen, richtig oder fehlerhaft sein können. Diese fehlerhaften oder verzerrten Gedanken gilt es zu bearbeiten und zu korrigieren. Das mag den meisten Menschen erstmal sehr sinnvoll und intuitiv erscheinen.
Kontraintuitive Therapie
In der ACT hingegen geht man davon aus, dass es keine wirksame Methode gibt, fehlerhafte Gedanken zu kontrollieren oder zu verhindern. Das sei jedoch auch gar nicht nötig. Leid wird als Teil der menschlichen Erfahrung betrachtet und gehört damit zum Leben dazu. Dies steht der gängigen Auffassung entgegen, dass es für ein normales, gesundes Leben nötig ist, dauerhaft glücklich zu sein.
Die zwei Arten von Leid
Es gibt nach dem Verständnis der ACT zwei Arten von Leid. Bei der ersten handelt es sich um „gesundes“ Leid, welches, wie eben beschrieben, zum Leben dazugehört und das es anzunehmen gilt. Daneben existiert jedoch noch schädliches, zerstörerisches Leid. Dieses entsteht, wenn Menschen versuchen, ihre Gefühle zu kontrollieren. Dabei ist das Ziel der ACT, dass Patienten besser lernen, ihre Gefühle zu spüren, anzunehmen und sich ihr Leben nicht durch erfolglose Versuche erschweren, diese kontrollieren oder unterdrücken zu wollen.
Ein kleine Übung zur Gedankenkontrolle:
Damit etwas klarer wird, wie das gemeint ist, kannst du einen kleinen Versuch machen. Denke eine Minute lang nicht an einen rosa Elefanten, der auf dem Kopf einen Partyhut trägt. Bitte achte darauf, dass du nicht ein einziges Mal in dieser Minute an ihn denkst und es ist wirklich ganz wichtig, dass du dir den rosa Hautton und den bunten Hut nicht vorstellst. Starte damit jetzt.
Und? Hast du es geschafft?
Wenn nein, dann hast du vielleicht gemerkt, dass es unter bestimmten Umständen unmöglich sein kann, seine Gedanken zu kontrollieren.
Wenn ja, dann herzlichen Glückwunsch! 😉 Es bleibt jedoch die Frage, ob dir diese Aufgabe leicht gefallen ist? Wahrscheinlich hast du bewusst versucht, deine Gedanken auf ein anderes Thema zu lenken. Das kann relativ anstrengend sein. Versuche dir jetzt einmal vorzustellen, was passieren würde, wenn du die Übung nicht für eine Minute, sondern eine Stunde oder einen Tag durchhalten wollen würdest. Das wäre vermutlich mit sehr viel Anstrengung verbunden. Es würde trotz all dieser Bemühungen wohl kaum zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen.
Und selbst, wenn dieser eine Tag geschafft wäre, würde die Anstrengung am nächsten vermutlich wieder ähnlich hoch sein und genauso viele Ressourcen fordern, die du eigentlich in sinnvollere Dinge stecken könntest.
Durch diesen Versuch, dauerhaft die eigenen Gedanken oder auch Gefühle kontrollieren zu wollen, entsteht nach der ACT schließlich die oben beschriebene zweite, vermeidbare Art des Leidens. Vermeidbar wird sie dadurch, dass in der Therapie darauf hingearbeitet wird, selbstbestimmter zu werden, der eigenen Gedanken- und Gefühlswelt achtsam zu begegnen und zum Scheitern verurteilte Kontrollversuche zu unterlassen.
Das Vorgehen in der ACT
In der ACT werden häufig Metaphern, Paradoxien und erlebnisorientierte Übungen verwendet. Diese sollen Patienten wichtige Botschaften vermitteln oder dazu führen, dass diese mit unschönen Gedanken, Gefühlen oder Körperempfindungen in Kontakt kommen können.
Es gibt in der ACT sechs Kernbausteine. Sie werden in der Theorie in einem Hexagon abgebildet und in deren Mittelpunkt steht die psychische Flexibilität. Diese soll durch das Arbeiten an den einzelnen Eckpunkten und deren Zusammenspiel erreicht werden. Als Beispiel für die folgende Erklärung der Elemente der ACT-Therapie stellen wir uns eine fiktive Patientin vor, die in die Therapie kommt, weil sie chronische Schmerzen hat und daher eine Depression entwickelte. Sie hat ständig Angst, dass ihre Schmerzen wieder kommen oder noch schlimmer werden. Daher hat sie in den vergangenen Jahren bereits viele Hobbies aufgegeben, geht kaum noch vor die Haustür und macht nur noch wenig mit ihrer Familie.
Die 6 Kernbausteine der ACT
1. Akzeptanz statt Kontrolle
Durch Akzeptanz sollen die sinnlosen Kontrollversuche der eigenen Gedanken oder Gefühle losgelassen werden können. In der realen Welt funktionieren Kontrollstrategien sehr gut. Ich kann beispielsweise immer wieder kontrollieren, ob ich auf dem richtigen Weg mit dem Auto unterwegs bin und rasch gegensteuern, falls ich einmal falsch abbiegen sollte. In unserem Inneren funktionieren solche Strategien, wie die Übung oben bereits verdeutlichte, weniger gut. Für unsere eben vorgestellte Patientin bedeutet dies, dass sie durch ihren Therapeuten angeleitet wird, ihre Schmerzen radikal zu akzeptieren.
Es ist wichtig, dass Akzeptanz an dieser Stelle nicht als passive Resignation verstanden wird. Es geht ganz im Gegenteil um die aktive Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu erkennen und anzunehmen. Akzeptanz kann erlernt werden.
2. Kognitive Defusion
Kognitive Defusion beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gedanken und Gefühlen als das wahrzunehmen, was sie sind – nämlich Zustände, die auftauchen und wieder gehen können und welche angemessen, richtig, ungerechtfertigt oder sogar irreführend sein können. Beim Gegenteil von kognitiver Defusion, der kognitiven Fusion, geht man von einer starken Identifikation bzw. Verschmelzung mit den eigenen Gedanken und Gefühlen aus. Das macht enorm unflexibel.
Unsere Patientin hat aufgrund ihrer Schmerzen Angst, nie wieder in den Urlaub fahren zu können. Wenn sie sich stark mit dieser Angst identifiziert, ist es schwer, diese zu überwinden. Sie wird es vermutlich gar nicht erst versuchen. Sobald sie sich aber vor Augen führt, dass sie lediglich den Gedanken hat, dass die Angst vor Schmerzen während einer Reise zu groß sein könnte, um sie überwinden zu können, eröffnet dies neue Möglichkeiten. Ziel ist es daher, bei der kognitiven Defusion die eigenen Gedanken und Gefühle weniger ernst zu nehmen und die eigene Identifikation mit ihnen zu verringern, um handlungsbereiter zu werden.
Der Patientin könnte es helfen, wenn sie sich klarmacht: „Ich habe Angst, aber ich bin nicht meine Angst.“ Oder allgemeiner gesagt: „Ich habe ein Gefühl, aber ich bin nicht das Gefühl.“
3. Selbst als Kontext
Unsere fiktive Patientin hat jedoch nicht nur Ängste in Bezug auf ihre Schmerzen, sondern auch ein klares Selbstbild davon, dass sie ein Mensch ist, der eben nicht viel aushält und der es insgesamt sehr schwer im Leben hat. In der ACT würde man davon sprechen, dass sie mit diesen Ich-bezogenen Beschreibungen und Überzeugungen ihr eigenes konstruiertes Selbst erzeugt. Dies beschreibt, dass Menschen sehr mit ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen verschmelzen und daraus psychische Inflexibilität sowie eingeschränkte Verhaltensmöglichkeiten resultieren. Wenn die Patientin der Meinung ist, es nicht leicht zu haben, wie soll sie dann auf die Idee kommen, etwas an ihrer Situation ändern zu können?
Das Gegenteil des „konstruierten Selbst“ ist das „Selbst als Kontext“. In der Therapie wird darauf hingearbeitet, das eigene Selbst nur als Kontext für temporäre Erfahrungen zu sehen. Ziel ist daher, Gedanken und Gefühle als nicht identitätsstiftend wahrzunehmen. Die Beobachterperspektive einzunehmen hilft der Patientin zu erkennen, dass sie mehr ist als die Geschichten, die sie sich selbst und über sich selbst erzählt.
4. Achtsamkeit
Unsere fiktive Patientin hat aufgrund ihrer Schmerzsymptomatik bereits einige Hobbies aufgegeben. Das ist problematisch, da sie dadurch bewusst Erlebnisse vermeidet, in denen sie die Erfahrung machen könnte, dass sie trotz ihrer Schmerzen daran teilhaben und vielleicht sogar Freude daran haben kann. Stattdessen beschäftigt sie sich sehr mit der Zukunft und überlegt, welche zukünftigen Erlebnisse durch ihre Schmerzen beeinträchtigt werden könnten.
Die Vergangenheit ist zwar unveränderbar, die Gegenwart jedoch beeinflussbar und die Zukunft noch gar nicht da. Unsere Patientin darf sich daher mehr auf die Gegenwart konzentrieren, was durch das Erlernen von Achtsamkeit erreicht werden kann. Achtsamkeit bedeutet, bewusst im Hier-und-Jetzt zu leben. Die aktuelle Situation soll möglichst ohne Bewertung wahrgenommen und das Erleben muss nicht verändert werden. Achtsamkeit bzw. wertungsfreies Wahrnehmen kann durch Übungen wie den Body Scan, progressive Muskel-Relaxation oder das Wahrnehmen und wertfreie Beschreiben mentaler Ereignisse, trainiert werden.
5. Werte
Bei all dem Fokus, den unsere Patientin auf ihre Schmerzsymptomatik legt, sind viele ihrer früheren Lebensziele und Werte in den Hintergrund gerückt. Sie wollte beispielsweise immer eine Person sein, die gesellig ist und viel mit ihrer Familie unternimmt. Dieses Ziel hat sie aufgrund ihrer Erkrankung in der letzten Zeit kaum noch verfolgt. In der ACT ist die Beschäftigung mit Werten und Zielen essentiell, da sie als Motivatoren und Wegweiser angesehen werden. Sie sollen wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden und werden daher aktiv in der Therapie aufgegriffen und bearbeitet.
6. Engagiertes Handeln
Als letzten Punkt lernt unsere Patientin in der Therapie aus ihrem Vermeidungsverhalten herauszukommen und wieder aktiv zu Handeln. Ihre im vorherigen Schritt selbst definierten und festgesteckten Werte legen den Grundstein dafür. Dabei wird der Patientin klar, dass sie die freie Wahl hat, sich auf wertegeleitete Art und Weise zu verhalten, obwohl ihre gefürchteten Schmerzen dabei auftreten könnten. An dieser Stelle kann Expositionstherapie eingesetzt werden. Dabei geht es in der ACT im Vergleich zur Verhaltenstherapie nicht um eine Symptomreduzierung während der Exposition. Es geht darum, psychische Flexibilität zu fördern und das Verhaltensrepertoire zu erweitern.
Damit ist das Hexagon vollständig und die fiktive Patientin austherapiert. 😉 Betrachten wir zum Schluss noch kurz die Wirksamkeit der ACT.
Wirksamkeit
Es gibt für die Absicherung der Wirksamkeit der ACT insgesamt noch Forschungsbedarf. Dennoch konnten Metaanalysen bereits zeigen, dass die ACT für viele Störungsbilder genauso effektiv zu sein scheint, wie beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie. Sie ist klar dem Placebo-Effekt und Wartelisten-Bedingungen (in denen Patienten keine Therapie erhalten) überlegen (Powers et al., 2009 & A-Tjak et al., 2015). Die fehlende psychische Flexibilität stellt darüber hinaus einen Risikofaktor für das Entstehen psychischer Erkrankungen dar (Gloster et al., 2017).