EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ und ist eine Behandlungsmethode, die vor allem in der Traumatherapie Anwendung findet. Sie eignet sich jedoch auch zur effektiven Behandlung von anderen Störungsbildern, wie Depressionen oder Angsterkrankungen. In diesem Artikel sollen die Grundlagen der EMDR-Behandlung erklärt und ein Einblick in den ungefähren Ablauf einer EMDR-Sitzung gegeben werden.
EMDR – was ist das eigentlich?
EMDR bedeutet übersetzt „Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen“. Dabei sind Augenbewegungen nur eine Art, wie die beiden Gehirnhälften beim EMDR abwechselnd stimuliert werden können. Wichtig hierfür zu wissen ist, dass unsere beiden Körperhälften in den beiden Gehirnhälften repräsentiert sind. Die rechte Körperhälfte ist mit der linken Gehirnhälfte verknüpft und umgekehrt.
Beim EMDR macht man sich diese Verknüpfung zunutze. Durch schnelle Augenbewegungen von rechts nach links und wieder zurück, akustische Reize über Kopfhörer oder taktil durch Berühren der Handoberseite, werden die Gehirnhälften schnell abwechselnd stimuliert. Man nennt dies „bilaterale Stimulation“. Ziel dieser Stimulation ist, dass die Selbstheilungskräfte des Gehirns aktiviert und Verarbeitungsprozesse angeregt werden. Dies ist der Kern der EMDR-Behandlung. Bilaterale Stimulation verursacht einen nachweislich positiven Effekt auf psychische Erkrankungen, wie z. B. Traumafolgestörungen.
Falls dich diese Therapieform interessiert, findest du eine Liste mit Therapeuten, die über eine EMDR-Zertifizierung verfügen, hier.
Was zur EMDR-Behandlung dazu gehört
Zur EMDR-Behandlung gehört noch etwas mehr als nur die bilaterale Stimulation. Insgesamt gibt es in der Behandlung acht Phasen, die vom EMDR-Therapeuten je nach individueller Symptomatik angepasst werden können. Zuerst wird eine Anamnese und Behandlungsplanung durchgeführt.
Danach geht es in die zweite Phase, in der es um die Stabilisierung des Patienten und der Vorbereitung der EMDR-Behandlung geht. In dieser Phase werden die Ressourcen des Patienten, also alles, was in seinem Leben einen positiven Einfluss hat, erfragt. Auch schon vorhandene Kompetenzen wie ein positives Selbstwertgefühl, gute Kommunikationsfähigkeiten oder soziale Unterstützung werden erfragt und/oder durch gezielte Übungen aktiviert. In der Regel werden auch Imaginationsübungen eingesetzt, um dem Patienten die Möglichkeit zu geben, sich zwischen den einzelnen EMDR-Sitzungen, falls nötig, zu stabilisieren.
So läuft eine EMDR-Sitzung ab
Mittlerweile gibt es für verschiedene Krankheitsbilder unterschiedliche Protokolle, aber in diesem Artikel beziehe ich mich auf das Standardprotokoll, das die meisten EMDR-Therapeuten verwenden.
Nach dem Standardprotokoll wird der Therapeut den Patienten als erstes informieren, dass er im Ablauf der Sitzung immer wieder erfragen wird, wie es dem Patienten gerade geht und welche Körperempfindungen, Gefühle und Gedanken gerade da sind. Dies geschieht normalerweise in den Teilen der Behandlung, in denen die bilaterale Stimulation pausiert. Außerdem wird ein Stopp-Signal vereinbart, damit der Patient die Stimulation unterbrechen kann, falls er eine Pause braucht.
Inneres Bild, negative und positive Kognitionen
Der Therapeut wird an dieser Stelle fragen, was das schlimmste innere Bild ist, das beim Patienten auftaucht, wenn er an das zu bearbeitende Ereignis (Ausgangsereignis) denkt. Dabei kann es sich um ein reales Ereignis aus der Vergangenheit handeln, es ist aber auch möglich, potenziell in der Zukunft auftretende Situationen zu bearbeiten.
Ist das Bild benannt, soll der Patient eine damit verbundene negative Kognition formulieren. Dabei wird er gebeten, einen Satz in der Ich-Form zu nennen, der seine Einstellung zu dem Ereignis wiedergibt. Beispiele hierfür sind: „Ich habe versagt“, „Ich bin in Gefahr“ oder „Ich bin nicht liebenswert“.
Darauf folgt die positive Kognition, also die Weise, in der der Patient gerne von sich denken würde, wenn er an das Ereignis denkt. Zum Beispiel: „Ich habe es hinter mir“, „Ich werde geliebt“ oder „Es ist unwichtig, was andere über mich denken“.
Dann wird die Stimmigkeit der positiven Kognition abgefragt. Dazu wird eine Skala von 1 (völlig falsch) bis 7 (völlig richtig) genutzt, auf der der Patient angeben soll, wie stimmig sich der positive Satz jetzt anfühlt, wenn er an das Ereignis denkt. Anschließend wird nach seinen Gefühlen und dem damit verbundenen Grad der Belastung, auf einer Skala von 0 (gar keine Belastung) bis 10 (die maximal vorstellbare Belastung) gefragt. Als Letztes werden noch Körperempfindungen erfragt, also wo im Körper der Patient die Belastung spürt.
Desensibilisierung und Reprozessierung
Jetzt geht es mit der eigentlichen EMDR-Behandlung los. Der Patient wird gebeten, gedanklich bei seinem inneren Bild, der negativen Kognition und dem dazugehörigen Körpergefühl zu bleiben. Dann wird mit der bilateralen Stimulation begonnen. Dabei kann der Patient der Hand des Therapeuten oder einem Licht mit den Augen folgen, einen Ton abwechselnd auf dem linken und rechten Ohr präsentiert bekommen oder die Hände werden abwechselnd stimuliert. Die Art der Stimulation können Patienten in der Regel selbst entscheiden, neue Studien deuten jedoch darauf hin, dass die Augenbewegungen am wirksamsten sind.
Diese Stimulation wird zwischendurch immer wieder unterbrochen und der Therapeut fragt ab, was beim Patienten gerade passiert (“Was ist jetzt da?”). Es können neue Erinnerungen, Gedanken, Gefühle oder Körperempfindungen auftreten und es kann zu sogenannten „Affektbrücken“ kommen.
Affektbrücken
Bei einer Affektbrücke handelt es sich um eine assoziative Verbindung von beispielsweise neuen Erinnerungen und dem Ausgangsereignis. Patienten merken dabei oft sehr plötzlich, dass bestimmte Aspekte ihrer Biografie zusammenhängen oder wo Verknüpfungen mit aktuellen Problemen bestehen. Das kann für die Therapie sehr wichtig sein. Diese Zusammenhänge bleiben in der reinen Gesprächstherapie manchmal unerkannt. Daher sind Affektbrücken als Vorteil der EMDR-Behandlung zu sehen.
Weiter im Prozess
Der EMDR-Prozess kann eine gewisse Zeit lang dauern und es ist etwas Geduld gefragt. Deshalb ist es nicht unüblich, dass EMDR-Sitzungen länger dauern als gewöhnliche Therapiestunden, weshalb manchmal Doppelsitzungen dafür veranschlagt werden. Erst wenn der Patient keine neuen Eindrücke mehr im Prozess schildert, wird der Therapeut ihn bitten, zurück zum Ausgangsereignis zu gehen. Er soll nun berichten, wie er jetzt zu dem Ereignis steht und ob er Veränderungen wahrnimmt. Oftmals hat die Belastung schon nach einem Durchgang deutlich nachgelassen. Die restliche Belastung wird noch einmal erfragt und prozessiert, bis der Wert der Belastung möglichst bei 0 angekommen ist. Dazu sind meistens mehrere Durchgänge erforderlich.
Am Ende des Prozesses fragt der Therapeut die positive Kognition ab, ob diese noch passend ist oder ob es einen Satz gibt, der noch passender erscheint. Danach wird erfragt, wie passend dieser Satz jetzt erlebt wird (von 1 bis 7). Es wird nun noch einmal mit dem Prozessieren fortgefahren, der Patient soll jetzt jedoch bei der positiven Kognition bleiben, um diese innerlich zu verankern.
Am Schluss der Sitzung erfolgt ein Körpertest. Der Patient soll dabei durch seinen Körper gehen und nach unangenehmen übriggebliebenen Missempfindungen suchen. Sollten nur noch angenehme Empfindungen vorhanden sein, war die Sitzung erfolgreich und kann beendet werden.
Da das Gehirn noch bis zu zwei Tage nach der Sitzung mit der Verarbeitung beschäftigt sein kann (sogenanntes „Nachprozessieren“), wird der Patient darauf hingewiesen, dass es gut wäre, neue Erinnerungen, Eindrücke oder Belastungen aufzuschreiben. Sie sollen zur nächsten Sitzung mitgebracht werden, damit die Behandlung mit diesen Themen fortgesetzt werden kann.
Fazit
Nach einer EMDR-Sitzung ist es möglich, dass Patienten den Therapieraum mit einem völlig anderen, besseren Gefühl wieder verlassen, als sie ihn betreten haben. Sachverhalte, die vom Kopf verstanden wurden, können durch EMDR häufig ins Gefühlsleben übertragen werden. Die strukturierte Vorgehensweise kann zudem das Gefühl vermitteln, wirklich etwas in der Therapiestunde geschafft zu haben. Aus Erfahrungsberichten von Therapeuten, die EMDR anwenden, ist mir außerdem bekannt, dass beim EMDR schneller Lösungsansätze auftauchen und Patienten davon nachhaltig profitieren.